Spaniens heimliche Fussball-Hauptstadt

Real Madrid und der FC Barcelona sind die erfolgreichsten Clubs in Spanien. Am intensivsten gelebt wird der Fussball jedoch woanders: in Sevilla, wo die Stadtrivalen FC und Betis aktuell für Furore sorgen.

Carsten Meyer
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Fanatische Fans von Betis Sevilla oder von Real Betis Balompié, wie die Grünweissen in Spanien heissen. (Bild: Aitor Alcalde Colomer/Getty (Sevilla, 12. Mai 2018))

Fanatische Fans von Betis Sevilla oder von Real Betis Balompié, wie die Grünweissen in Spanien heissen. (Bild: Aitor Alcalde Colomer/Getty (Sevilla, 12. Mai 2018))

António Alberto Bastos Pimparel ist viel rumgekommen in seiner langen und wechselhaften Karriere. Der 36-jährige Torwart, der Fussball-Europa unter seinem Künstlernamen Beto bereist, war bei diversen Clubs in seiner portugiesischen Heimat angestellt, in Rumänien und in Spanien. Aktuell verrichtet er seine Arbeit bei Göztepe in der Türkei. Kurzum: Der ehemalige National-Goalie hat schon eine Menge erlebt.

Aber so etwas wie zu seiner Zeit beim FC Sevilla (2013 bis 2016) ist ihm weder vorher noch nachher irgendwo passiert. Er hatte ja schon so einiges gehört über das Derby gegen Betis. «Aber dieses Spiel», sagt er, «überschreitet alles, was normalerweise Fussball ist.»

Trainings mit Fan-Gesängen und Feuerwerk

Dann gibt es schon Tage vorher kein anderes Thema in der Stadt, die Übungseinheiten der Clubs werden von Fan-Gesängen und Feuerwerk begleitet. Zum letzten Mal war dieses Spektakel rund um den dritten Spieltag zu beobachten. Als alles vorbei war, hatte ­Betis mit 1:0 gewonnen, was für FC-Trainer Pablo Machín keine sonderlich gute Nachricht war. Der 43-Jährige hatte sein neues Amt erst kurz zuvor angetreten – und es gab danach nicht wenige Fans, die durchaus Bereitschaft zu einem erneuten Trainerwechsel signalisierten.

Mittlerweile hat sich das Verhältnis zwischen Anhängern und Coach deutlich entspannt, man könnte den aktuellen Stand fast Zuneigung nennen. Vor dem 19. Spieltag, an dem heute (16.15 Uhr) das Spiel in Bilbao ansteht, grüsst der FC Sevilla mit dem Ex-Basler Tomáš Vaclík im Tor von Rang drei. Nur drei Plätze dahinter steht Betis, das am Abend (20.45 Uhr) Real Madrid empfängt. «In Städten wie London, Mailand oder Madrid mag es normal sein, dass es mehrere erfolgreiche Clubs gibt», sagt Andreas Hinkel, «aber Sevilla ist mit diesen Metropolen überhaupt nicht zu vergleichen.»

Hinkel weiss, wovon er spricht. Der 21-fache deutsche Nationalspieler und langjährige Stuttgart-Profi spielte zwischen 2006 und 2008 für den FC Sevilla, der damals auf Augenhöhe mit Real und dem FC Barcelona agierte. Hinkel holte mit dem Club den Cup, den europäischen Supercup und, natürlich, den Uefa-Cup, der heute Europa League heisst. Ein Wettbewerb, den der FC Sevilla so oft gewann (2006, 2007, 2014, 2015, 2016), dass man sich schon fragte, ob da überhaupt noch andere Vereine mitspielen. Wenn der FC Sevilla mal nicht siegte, dann nur deshalb, weil er gerade in der Champions League beschäftigt war. Und das, obwohl der Verein nicht mal zu den 30 umsatzstärksten Clubs in Europa zählt.

Sevilla – nicht reich, aber wunderschön

Was auch damit zusammenhängt, dass die Region zu den strukturschwächeren im Lande zählt. «Finanziell können weder Betis noch der FC mit den Grossen auch nur ansatzweise mithalten», sagt Hinkel, «aber trotzdem haben sie eine Menge zu bieten.»

Da wäre zum Beispiel die Stadt. Sevilla ist zwar nicht reich, aber wunderschön. «Die Lebensqualität ist fantastisch», sagt ­Hinkel. Ausserdem sind beide Vereine bekannt dafür, ein gutes Sprungbrett für Talente zu sein. Und sie zählen mit ihrer über 100-jährigen Tradition zum Inventar des spanischen Fussballs. König Juan Carlos I. und sein Sohn Felipe sind sogar Ehrenmitglieder bei Betis, dem Arbeiterverein der Stadt. «Dazu kommt noch eine absolut aussergewöhnliche Atmosphäre», sagt Hinkel, «die ganze Stadt lebt Fussball.»

Das merkt man vor allem an den Spieltagen, wenn die Gästeteams ein echter Hexenkessel ­erwartet. Wenn Real Madrid eine Gala im Bernabéu hinlegt, applaudieren die Anhänger höflich. Stolpert die Mannschaft von Fehlpass zu Fehlpass, gibt es ­verhaltene Pfiffe, und weisse Taschentücher werden geschwenkt. Das ist dann aber schon ein eruptiver Ausbruch. In Sevilla reissen die Fans fast das Stadion ab. Egal, ob es gut oder schlecht läuft.

Aktuell läuft es eher gut. Am Ende wird es wohl trotzdem nicht reichen, um die Riesen aus Madrid und Barcelona zu Fall zu bringen. Aber immerhin wanken sie zwischendurch ein bisschen. Und das ist ja auch schon einiges wert.