In der kubanischen Tageszeitung «Granma» ist alles in bester Ordnung.
Seit mehr als 50 Jahren ordnet die einzige Tageszeitung «Granma» für ihre Leser die Welt nach einem einfachen Prinzip. Es gibt nur gute Nachrichten von der letzten Insel des Sozialismus, schlechte Nachrichten aus der unter dem Imperialismus leidenden übrigen Welt und ganz schlechte Nachrichten aus den USA. Die stabile Auflage von rund 500 000 Exemplaren geht jeden Tag weg wie warme Weggli, kein Wunder, bei einem Preis von 20 Centavos, weniger als ein Rappen. Und ein Weggli zu besorgen, ist dann ein ganz anderes Problem. Das gilt allerdings auch für Toilettenpapier.
Rund 200 fest angestellte Journalisten mit staatlicher Arbeitsplatzgarantie kämpfen jeden Tag um einen Artikel auf den acht Tabloidseiten, der Papiermangel macht auch vor dem Organ des Zentralkomitees der kommunistischen Partei Kubas nicht Halt. In dieser Woche hat sich das Blatt aber ein Redesign verpasst, zur Feier des 55. Jahrestages, an dem Kuba für frei von Analphabetismus erklärt wurde. Nur ideologisch fehlgeleitete Konterrevolutionäre können sich darüber beschweren, wieso sie überhaupt ans Lesen herangeführt wurden, um sich an Artikeln zu erquicken, die leicht realitätsfern Planübererfüllungen, stetige Verbesserungen aller staatlichen Leistungen, gewaltige Steigerungen der Erdölförderung in der Provinz Sancti Spíritus oder die Entwicklung eines neues Medikaments gegen Lungenkrebs abfeiern.
Jetzt folgt digitale Revolution
Seit es die «Granma» auch im Internet gibt, hat zudem eine wahre Revolution stattgefunden. Das Blatt erscheint natürlich weiterhin völlig inseratefrei, aber der Leser darf Kommentare abgeben, es werden sogar Zuschriften in der Print-Ausgabe veröffentlicht, da nicht allzu viele Kubaner Zugang zum Internet haben (oder ihn für die Lektüre des Blatts verwenden). Vorbei die Zeiten, als ein Frechdachs, der einen aufmüpfigen Beschwerdebrief an die Zeitung richtete, anschliessend einen Hausbesuch von erzürnten Journalisten bekam, die seine Wohnung mit Eiern und Steinen bewarfen. Immerhin räumten sie anschliessend selbstkritisch ein, dass die Verwendung von Eiern angesichts der Nahrungsmittelknappheit ein Fehler war. Heutzutage hat sogar investigativer Journalismus Einzug gehalten. Leser beschweren sich über aufgerissene Strassen oder Beleuchtung sowie kafkaeske Ämtergänge. Dem wird nachrecherchiert und die verantwortlichen Funktionäre müssen wortreich erklären, dass sie eifrig daran arbeiten, Abhilfe zu schaffen, wobei allerdings die grausame US-Handelsblockade sofortige Verbesserungen verhindere.
Die Qualität der «Granma» wird zusätzlich gesteigert, da der Comandante en Jefe Fidel Castro nicht mehr seine unendlich langen Reden hält. Dafür wurde jeweils der Umfang auf 12 oder gar 16 Seiten gesteigert, um all den Kubanern, die seinen Ausführungen auf allen Staatskanälen nicht folgen konnten, Gelegenheit zu geben, von Anfang an bis «socialismo o muerte, venceremos» – «Sozialismus oder Tod, wir werden siegen» – alle Worte nachzulesen. Daher ist «Granma» in jeder Beziehung ein journalistischer Lichtblick in diesen von Sparmassnahmen und allgemeinem Qualitätsverlust geprägten Zeiten. Der Leser weiss jeden Tag, was ihn erwartet, wird in seiner Überzeugung bestärkt, in der besten aller Welten zu leben; frei von Terrorismus, geordnet, erfolgreich dank dem unermüdlichen Bemühen des sozialistischen Staates, jeden Tag neue revolutionäre Triumphe zu erzielen.
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