Ein Blog als Bannstrahl

Charles Martig provozierte den Kirchenaustritt von SVP-Politikerin Natalie Rickli. Porträt eines Missionars.

Christoph Bernet
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Theologischer Zweihänder: Charles Martig missioniert mit journalistischen Mitteln. Foto: Werner Rolli

Theologischer Zweihänder: Charles Martig missioniert mit journalistischen Mitteln. Foto: Werner Rolli

Schweiz am Wochenende

«Ce n’est pas très catholique, Madame Rickli!»: Diese Worte schleuderte Charles Martig in einem Blogbeitrag zur Service- public-Debatte auf dem katholischen Medienportal kath.ch der Zürcher SVP-Nationalrätin und SRG-Kritikerin entgegen. Obendrein bezeichnete er Natalie Rickli als «zerstörerische Kraft».
Damit löste Martig einen Sturm der Entrüstung aus. Rickli trat öffentlichkeitswirksam – der «SonntagsBlick» berichtete auf der Frontseite – aus der kantonalen Körperschaft der katholischen Kirche aus. Sukkurs enthielt sie aus dem konservativen Bistum Chur: «Jesus Christus hat nie etwas zum Service public gesagt», erklärte Bischof Vitus Huonder im «Blick». Es sei falsch, jemanden aufgrund solcher Differenzen nicht mehr als katholisch zu bezeichnen: «Das Bistum Chur bedauert eine solche parteipolitische Instrumentalisierung der Kirche.»
Wer ist Charles Martig, der mit dem theologischen Zweihänder in eine Debatte ausserhalb des Kernbereichs der katholischen Lehre eingreift? Der 50-Jährige ist Direktor des katholischen Medienzentrums, Betreiber des Portals kath.ch. Seine Leidenschaften sind mannigfaltig: «Powered by martial arts, good wine and catholic faith!», lautet die Selbstbeschreibung auf Martigs Twitter-Profil.
Seinen Lohn erhält Martig letztlich durch Beiträge der Kirche: Im Trägerverein des redaktionell unabhängigen Zentrums sitzen Kantonalkirchen und Bistümer der Deutschschweiz – mit Ausnahme Churs. Finanziert wird es hauptsächlich durch Beiträge der Kantonalkirchen.
Der letzte Mohikaner
Martig stellt seinen Blogbeitrag in den Kontext der Service-public-Debatte. Es sei seine persönliche Meinung und nicht die Position der Kirche. Die Tonalität sei bewusst gewählt. Es handle sich um ein Pamphlet für den Service public und gegen die Kräfte, die diesen schwächen wollen – wie es Natalie Rickli tue. «Hier stehe ich und kann nicht anders», sagt Martig. Er habe den Aspekt des Menschenbildes in die Debatte einbringen wollen: «Sind wir Menschen durch Medienangebote nur noch als Konsumenten angesprochen?»
Martig studierte in Freiburg Theologie, Kommunikation und Medienwissenschaften. Seine Leidenschaft gilt dem Film, seine Dissertation untersuchte theologische Aspekte im Werk des dänischen Filmemachers Lars von Trier. Das Kino war denn auch sein Weg in den Journalismus. Nach dem Studium stiess er als Filmkritiker zum katholischen Mediendienst. Ab 2002 amtete er dort als Geschäftsführer, seit einem Jahr als Direktor. Seit 1999 berät er die Schweizerische Bischofskonferenz (SBK) als Mitglied der Kommission für Kommunikation und Medien.
Martig verkörpert den liberalen, sozialen Flügel innerhalb der Schweizer Katholiken. Dieser will eine politisch engagierte Kirche, die sich in Debatten einmischt. In diesem Milieu ist er gut vernetzt: Einer seiner Mitstudenten war Simon Spengler. Der frühere «Blick»-Journalist Spengler wurde 2010 vom damaligen Einsiedler Abt Martin Werlen als Sprecher der Bischofskonferenz geholt. Werlen, der als «Mönch Martin» fleissige twittert, wollte mit Spengler der Kirche ein neues Gesicht verpassen: offen und offensiv informierend, unangenehmen Themen nicht aus dem Weg gehend und mit linkem Einschlag politisierend.
2011 verfasste Abt Werlen die 1.-August-Botschaft der Bischofskonferenz mit dem Titel «Die Kirche ist politisch!» Werlen strich die Bedeutung des politischen Engagements für die Kirche hervor: «Die Kirche ergreift Partei.» Nicht allen Bischöfen gefiel diese Strategie: 2015 erhielt Spengler die Kündigung – auch auf Druck aus Chur. Der Kurs von Spengler und Martig hatte wichtige Unterstützer verloren. Abt Werlen trat 2013 zurück, 2015 löste der konservative Freiburger Charles Morerod den liberalen St. Galler Markus Büchel an der SBK-Spitze ab.
Spenglers Rausschmiss führte zu einem weiteren Abgang im liberalen Kirchenflügel: Werner De Schepper, früherer «Blick»-Chefredaktor und Oltner Linkskatholik, trat zurück. De Schepper sollte kath.ch zum «katholischen Newsroom» ausbauen und leitete die bischöfliche Medienkommission, als Spengler ohne sein Wissen gekündigt wurde. Boulevardmann De Schepper sprach von einer hinterrücks erfolgten, «nichtchristlichen» Kündigung. Die Ära der Offenheit in der kirchlichen Kommunikation sei vorbei. Mit De Scheppers Abgang war auch klar: Der Kurs einer Kirche, die sich in politische Debatten einschaltete, war gescheitert. In der Bischofskonferenz herrschte ein neuer Wind. Als letzte Mohikaner der linkskatholischen Einmischkultur in einer politisch zunehmend zurückhaltenden Kirche blieben Charles Martig und sein Portal kath.ch.
Wikipedia-Eintrag selbst verfasst
Dementsprechend reserviert äussert man sich bei der Bischofskonferenz. Präsident Morerod will das Gespräch mit Rickli und Martig suchen. Er wolle sich selber über die ganze Geschichte eine Meinung bilden, sagt der Bischof gegenüber kath.ch. Die Aussagen Martigs könnten nicht als Haltung der Kirche verstanden werden. «Das sind zwei Paar Schuhe.» Der Konflikt bestehe zwischen Martig und Rickli, ergänzt SBK-Sprecher Walter Müller.
In seinen bisherigen Blogbeiträgen widmete sich Martig Themen wie «Religion und soziale Medien» sowie seinem Steckenpferd, dem Film. Offen ist, ob sich Martig erneut mit religiösem Eifer in eine politische Debatte einschaltet. Laut seinem Wikipedia-Eintrag hätte er die Konstitution für einen weiteren Rundumschlag: Im japanischen Aikido hat er den Grad des 5. Dan erreicht. Erstellt hat den Wikipedia-Eintrag ein Nutzer namens: Charles Martig.
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