Neue Krise, neue Experten. Der Medienzirkus hat seine Dauererklärer mit dem Angriff auf die Ukraine schnell ausgewechselt.
Albert A. Stahel war der letzte Star von Schawinski-Senders Tele24. Kurz vor dessen Schliessung lief der ETH-Stratege zu ungeahnter Form und Bildschirmpräsenz auf. Der Grund: das Attentat vom Ground Zero. Praktisch keine Sendung ohne Stahel. Aber irgendwann verschwand sogar dieser Konflikt von der Bildfläche und Stahel in den Untiefen des medialen Raums.
Dank Putins Wahn feiert Stahel nun sein Comeback und bewegt sich in der Daueranalyse zwischen Radio 1 und dem deutschen Focus. Man lerne: Jede Krise hat seine Kommentatoren. Vorbei die Zeiten, als die Coronagilde rund um Marcel Salathé den baldigen Weltuntergang beschwor. Doch die Pandemie scheint urplötzlich abgehakt, selbst General Berset steht wieder in der zweiten Reihe; gefragt sind Kriegsexperten und nicht mehr Virenphilosophen.
Erstaunlich vor allem Erich Gysling, die brillanteste und auch alterslose Allzweckwaffe der Welterklärer. Keiner analysiert so perfekt wie der 85-Jährige. Höchstwahrscheinlich wagen sich nicht einmal die Kriegsparteien gegen dessen Prognosen zu stellen. Und selbst Journalistenlegende Peter Scholl-Latour, obwohl schon lange verstorben, wird wieder zu Rate gezogen; in Extremsituationen ist auf Unsterblichkeit Verlass.
Einen medialen Phantomschmerz verspürt hingegen der deutsche Mediziner Karl Lauterbach, erfolgreichster Corona-Analytiker überhaupt. Dank seiner TV-Auftritte wurde er deutscher Gesundheitsminister. Die Welt, so sagte er unlängst, habe Wichtigeres zu tun als sich mit Putins Grossmachtfantasien zu beschäftigen. Zum Beispiel mit der Pandemie. Es tönte fast schon wehmütig.