Alles andere als eine Verurteilung im Pariser Prozess wäre eine Überraschung. Ist der UBS-Chefjurist der Bank deshalb auf dem Absprung?
13 Jahre lang holte Markus Diethelm für die UBS die Kohlen aus dem Feuer, wenn seine Banker wieder einmal gefrevelt hatten. Dank Vergleichen in New York oder in London ersparte der 63-jährige Rechtschef der Schweizer Bank Milliarden. Doch in Paris beisst Diethelm auf Granit. Am kommenden Montag wird ein französisches Berufungsgericht bekanntgeben, ob die Bank wegen illegaler Kundenanwerbung und qualifizierter Geldwäsche verurteilt wird. Laut der Anklage hatten Schweizer Banker in Frankreich von 2004 bis 2012 ohne Berufslizenz vermögende Bürger akquiriert und ihnen zu undeklarierten Konten verholfen.
In erster Instanz erhielt die UBS vor zwei Jahren eine horrende Busse von 4,5 Milliarden Euro inklusive Schadenersatz. In der Revision verlangt die Staatsanwaltschaft noch 3 Milliarden. Die Reduktion basiert auf einer neuen Art der Bussenberechnung durch den französischen Kassationshof: Ausschlaggebend ist nicht mehr die hinterzogene Geldsumme, sondern nur der dem Fiskus entgangene Steuerbetrag.
In der Sache rechnen die Beteiligten mit der Bestätigung des Schuldspruchs. Das wäre eine herbe Schlappe für die UBS. Sie setzte auf Angriff und damit auf Freispruch. Einen Vergleich – der ein Schuldbekenntnis vorausgesetzt hätte – schlug Markus Diethelm aus. Das sagte er 2017 selber dem Pariser «Journal du dimanche»: «Was man uns vorgeschlagen hat, ist nicht vernünftig.» Die Franzosen verlangten 1,1 Milliarden Euro, was der Höhe der bereits hinterlegten Kaution entsprach. «Ein solcher Betrag ist undenkbar für unsere Aktionäre», fügte Diethelm an, wobei er durchblicken liess, dass er mit einem Schuldeingeständnis auch einen Präzedenzfall in anderen Staaten vermeiden wollte. Bleibt es bei rund 3 Milliarden Euro Bussgeld, ist die Schlussfolgerung unvermeidlich: Die UBS hat sich verrechnet und diverse Aspekte falsch eingeschätzt.
Die Schweizer Bank gab sich bis zum erstinstanzlichen Urteil sehr selbstsicher, wenn nicht überlegen. Ihre Pariser Anwälte scheinen ihr nicht erklärt zu haben, dass sich in Frankreich nie der Angeklagte überlegen fühlt, sondern die Justiz des allmächtigen Zentralstaates. Insbesondere die Steuerjustiz. Sie zeigte sich unbeeindruckt von den Heerscharen der UBS-Verteidiger. Im Gegenteil: Die Schweizer Grossbank und ihr Kürzel gelten für die meisten Franzosen als Inbegriff der Steuerflucht. «L’UBS» ist in Frankreich irgendwie aus Prinzip schuldig.
Vor allem auch seit der Affäre Cahuzac. Der gleichnamige Budgetminister war 2013 aufgeflogen, weil er, statt Steuersünder zu verfolgen, selber ein undeklariertes Konto bei der UBS unterhielt. Um sich von ihm abzugrenzen, schuf der sozialistische Präsident François Hollande die «Nationale Finanzstaatsanwaltschaft», kurz PNF. Diese als «links» geltende Ermittlungsbehörde will mit der UBS ein Exempel statuieren. Sie war es, die das erstinstanzliche Verdikt vorgab; sie berechnete – sehr willkürlich – die für Frankreich rekordhohe Bussenhöhe, und sie lieferte sodann die Unterlagen für den Berufungsprozess. Man kann sich ausmalen: Würde die UBS nun frei- gesprochen, wäre das eine schallende Ohrfeige für die französische Steuerjustiz. Politisch eigentlich undenkbar.
Die sicherlich fürstlich honorierten UBS-Anwälte vernachlässigten indes diese politischen Zusammenhänge, als sie auf Freispruch setzten und entsprechend frei agierten. Sie wähnten sich in ihrem Recht, überzeugt, dass die PNF und damit auch die Richter keine Beweise für ihre Behauptungen fänden.
Ob bewiesen oder nicht: Das Berufungsgericht hat den Tatbestand der Geldwäsche bereits in einem Vorentscheid im Juni bestätigt. Unbestreitbar ist ferner, dass bei den von UBS-France organisierten Segelturns, Kultursoireen oder Jagdpartien auch Kundenmanager aus der Schweiz dabei waren. Die sechs mitangeklagten Ex-Spitzenbanker versuchten sich vor Gericht herauszureden, die Schweizer Gesandten hätten all die Neureichen, Fussballcracks und Lottogewinner bei diesen VIP-Events nur «begleitet, nicht angeworben». Es stach bei den Verhandlungen ins Auge: Die drei Richter wirkten von diesen Darstellungen nicht überzeugt.
Fazit: Ein Freispruch ist nicht sehr wahrscheinlich. Eher eine Milliardenbusse. Die UBS würde sich damit aber zweifellos nicht abfinden. Sie kann noch den Pariser Kassationshof wegen Rechtsmängeln anrufen, und dann die europäischen Gerichte. Diese könnten, wie die Bank hofft, weniger «politisch» urteilen, vielleicht sogar die Absenz von Beweisen rügen.
Dannzumal wird Markus Diethelm seinen Job allerdings bereits aufgegeben haben. Ende Oktober hört er als Chefjurist der UBS auf. Der gewiefte Stanford-Absolvent behält noch einige Monate lang brisante Dossiers, darunter zweifellos den Frankreich-Prozess; im Verlauf von 2022 wird er aber ganz abtreten. Bis dahin wird die europäische Rechtsprechung ihr Verdikt nicht gefällt haben.
So dürfte es an Diethelms Nachfolgerin Barbara Levi liegen, den Fall UBS-France zu beschliessen. Die finanziellen Rückstellungen für den Fall einer definitiven Verurteilung hat die Bank bereits getätigt. Aber «Paris» ist für die UBS noch nicht abgehakt.