LUZERN: Piano-Festival mit «Magna Martha» eröffnet

Auch 2017 stehen die Solo-Rezitals im Mittelpunkt. Doch zum Auftakt gab es am Wochenende ein Sinfoniekonzert mit einer prominenten Solistin und einen Tastentag mit Schwerpunkt Claude Debussy.

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Ganz ohne Starallüren fügte sich Martha Argerich am Flügel perfekt in den Klang der Deutschen Kammerphilharmonie ein. Links Dirigent Vladimir Jurowski. (Bild: Priska Ketterer/Lucerne Festival (19. November 2017))

Ganz ohne Starallüren fügte sich Martha Argerich am Flügel perfekt in den Klang der Deutschen Kammerphilharmonie ein. Links Dirigent Vladimir Jurowski. (Bild: Priska Ketterer/Lucerne Festival (19. November 2017))

Fritz Schaub

kultur@luzernerzeitung.ch

Gestern gab es durch die Piano-Lecture von Martin Meyer und die Rezitals der jungen Interpreten ein pianistisch attraktives Thema mit Claude Debussy. Begonnen aber hat das Festival am Samstagabend mit zwei Frühromantikern, deren Werke zum Standardrepertoire der pianistischen und sinfonischen Literatur gehören. Die meisten Leute im vollen Haus dürften wegen «Magna Martha» gekommen sein. Martha Argerich trat im Rahmen eines traditionellen Sinfoniekonzerts auf, wie man es auch am Sommer-Festival erleben könnte.

Die Überraschung aber war, dass die argentinische Pianistin sich keineswegs übermächtig in den Vordergrund drängte, sondern sich bescheiden in den Dienst des Werkes stellte und sich damit ins Orchester integrierte. Wie es sich bei einem Konzert aufdrängt, in dem Orchester und Soloinstrument eng ineinander verzahnt sind.

Seit die 76-Jährige als elfjähriges Wunderkind 1952 dieses Werk im Teatro Colon in Buenos Aires, wo sie aufwuchs, zum ersten Mal spielte, begleitete das wohl schönste Klavierkonzert der Romantik sie während ihrer ganzen bisherigen Karriere. So gibt es 15 verschiedene Aufnahmen mit ihr. Es gab auch schon Auftritte, bei denen sie sich primär auf den Finalsatz fokussierte. Diesmal aber war sie von Anfang an konzentriert, bewahrte stets eine ruhige Haltung und zeigte dennoch einen resoluten Einsatz in den marcato gehämmerten oktavierten Akkorden des Kopfsatzes.

Zwischen Ausbrüchen und verträumter Poesie

Sie fühlte sich offensichtlich wohl in der Gesellschaft der Deutschen Kammerphilharmonie, die seit ihrem Debüt 1994 nicht mehr am Lucerne Festival aufgetreten ist. Die legendäre Pianistin hat nach wie vor die Pranke für die stürmischen Ausbrüche Florestans und die Tastenvirtuosität, aber auch die Poesie für den verträumten Eusebius, auch wenn eine gewisse Härte über dem Steinway lastete. Vor allem wenn man den Klang des Bechstein vom eben erschienenen Luzerner Beethoven-Projekt noch im Ohr hatte. Wie sie und der 45-jährige russische, vornehmlich im Westen tätige Dirigent Vladimir Jurowski die kontrastierenden Elemente gegenseitig austarierten, gehörte zu den besonderen Vorzügen dieser Wiedergabe.

Die kurze Sinfonie G-Dur KV 318 schuf der 23-jährige Mozart vermutlich als Ouvertüre für ein Singspiel, hier passte sie genau auch zum leidenschaftlichen Auftakt des Schumann-Klavierkonzerts. Die Kammerphilharmonie stellte sich als ein gut trainiertes und sich beherzt einsetzendes Ensemble vor, mit hervorragenden Bläsern und einem entschlackten, körperhaft-kernigen Streichersatz. Auch wenn nicht immer alles perfekt gelang, so überzeugte die Einstellung zu den Werken voll und ganz durch dynamische Rhythmik und klare Konturen. Sie fand ihre Krönung in der abschliessenden Sinfonie Nr. 3 a-Moll, der Schottischen von Felix Mendelssohn, die Jurowski wie alle Werke uneitel aus der aufliegenden Partitur vermittelte und dabei auch den Details grosse Aufmerksamkeit schenkte.

Kit Armstrong am Bechstein-Flügel

Ein ehemaliges Wunderkind eröffnete auch den Reigen der Rezitals im Rahmen des sonntäglichen Tastentags. Hatte sich der heute 25-jährige Kit Armstrong letztes Jahr erstmals in der Lukaskirche am Piano-Festival mit grossem Erfolg vorgestellt, schaffte er es nun in den Konzertsaal des KKL und markierte am Vormittag gleich kräftig das diesjährige Thema.

Zwar stand nur ein einziges Werk von Claude Debussy auf dem Programm. Aber die objektivierten, streng konstruierten drei Beispiele aus den späten «Etudes pour le piano» zeigten gerade in der Nachbarschaft der drei anderen Komponisten, wie Debussys revolutionäre Kunst ganz neue Türen aufschloss bis hin zur Avantgarde (Pierre Boulez hat sich nicht umsonst nachdrücklich auf Debussy berufen).

Sicher verband Debussy über die Jahrhunderte hinweg viel mit dem französischen Clavecinisten François Couperin (1668–1733). Werke wie«Le rossignol en amour» und «L’amphibie» aus «Pièces de clavecin» können geradezu als Wegweiser für Debussys Kunst gelten. Aber über den Modellcharakter hinaus verbindet klanglich nicht viel mit dem späten Nachfahren. Man kann sich die Musik Debussys schlicht nicht vorstellen auf einem Cembalo. Zu gering ist das Klangvolumen. Klanglich kam Charles Valentin Alkan (1813–1888) Debussy mit vier der fünf Stücke aus dem Recueil de Chants schon näher, bedenkt man, wie sanglich und doch schlank die Melodie im Vortrag von Kit Armstrong auf dem Bechstein-Flügel aufblühte. Louis Vierne (1870–1937) war ein Zeitgenosse Debussys, aber seine drei Nocturnes für Klavier verraten zu deutlich die Herkunft von der Orgel und gehören mit ihren weiten Klangräumen eindeutig in die Spätromantik. Mit der Zugabe von Jean-Philippe Rameaus «Les tendres plainte» erwies Armstrong einem weiteren Vorbild von Debussy die Ehre.

Sophie Pacini mit frühem Debussy

Nach einer Piano-Lecture, in der Martin Meyer am Nachmittag einen kritischen Streifzug durch Debussy Werk von den Préludes bis zu den revolutionär anmutenden Etudes unternahm, bot die junge deutsch-italienische Pianistin Sophie Pacini mit der Suite «Bergamasque» ein Werk aus Debussys früher Phase und machte sich so für den sich anbahnenden Meister der Klangalchemie stark.

Impressionistisch kann man vor allem «Clair de lune» nennen, sofern man unter dem viel beschworenen Etikett nicht, wie Meyer in der Lecture ausführte, Vernebelung meint. Zart und hell ist dieses berühmte, von einem Verlaine-Gedicht inspirierte Stück, eine Fortführung der Chopinschen Nocturnes, von denen Sophie Pacini zu Beginn die c-Moll-Nocturne op. 48 Nr. 1 darbot.

Mit den Porträts von Robert Schumanns Zyklus «Carnaval» brachte die Pianistin ein weiteres Werk zu Gehör, das mit seinem Maskenspiel zweifellos auch Debussy beeinflusst hat. Die Leidenschaft der Jugend konnte Pacini am klanglich voll ausgenützten Steinway-Flügel vor allem im abschliessenden Allegro appassionato von Camille Saint-Saëns und mit der Zugabe der sechsten Rhapsodie von Franz Liszt ausleben, die ihr völlig entfesselt von der Hand gingen. Begeisterung erfüllte den KKL-Saal, in dem wie im ersten Rezital Parterre und erster Balkon dicht besetzt waren.

Hinweis

Infos zu den weiteren Konzerten: www.lucernefestival.ch

Jungpianist Kit Armstrong unterhielt sich am gestrigen Tastentag mit Konzertgästen. (Bild: Peter Fischli/Lucerne Festival (19. November 2017))

Jungpianist Kit Armstrong unterhielt sich am gestrigen Tastentag mit Konzertgästen. (Bild: Peter Fischli/Lucerne Festival (19. November 2017))