Mutmacher im Alltag: «Ich meinti»-Kolumnist Christian Hug begegnete dem Thema plötzlich öfters. Doch etwas machte ihn stutzig – und er ging dem auf den Grund.
Letzthin war eine Kollegin bei uns zu Besuch. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen, darum musste sie mir ausführlich von den beruflichen Turbulenzen berichten, die sie in den letzten Monaten erlebt hatte – eine wenig erfreuliche Geschichte mit Umstrukturierungskündigung, Jobsuche, Zwischenjob und neuem Job, mit dem sie immerhin ordentlich zurechtkommt. Beim Zuhören fiel mir auf, wie oft sie den Satz sagte: «Vielleicht hätte ich mutiger sein sollen.»
Das alleine war ja noch nicht wirklich besorgniserregend. Aber als ich am Tag darauf einen Kollegen besuchte, sah ich an der Nachbarstür eine Postkarte hängen, auf der geschrieben stand: «Sei mutig». Mir war zwar nicht klar, inwiefern ich im Treppenhaus meinen Mut beweisen sollte, aber Karten kann man ja überall aufhängen, die Wände meines Büros sind voll davon.
Und am Abend beim Durchschauen der Statusbilder auf Whatsapp stiess ich auf drei Beiträge, die allesamt irgendwas mit Mut zu tun hatten. Einer ging so: «Mach dir morgens mächtig Mut, dann wird dein Tag gut.» Mit dem Bild einer Sonnenblume mit reingezeichnetem Lachgesicht. Das war zwar vom lyrischen Standpunkt aus gesehen bemerkenswert holprig formuliert, aber die Botschaft war klar: Man sollte mehr wagen im Leben, so ganz allgemein gesehen.
Das stimmt natürlich. Schliesslich heisst es nicht umsonst «Wer nicht wagt, der nicht gewinnt», das wusste damals schon der alte Dagobert Duck in den Mickey-Mouse-Heften, und das sagten auch die Eroberer des Nordpols, des Südpols und des Mount Everest. Wir Normalsterbliche müssen zum Glück nicht auf den höchsten Berg der Welt, um zu gewinnen, aber auch wir müssen jedes Mal eine Portion Mut aufbringen, wenn wir ein neues Ziel erreichen wollen. Manchmal erfordert es sogar Mut, sich ein Ziel überhaupt zu setzen.
So weit, so gut. Und jetzt kommt der eher unangenehme Teil, jedenfalls für mich als Mann, wenn ich das jetzt sage: Alle diese Mutmacher-Posts und -Postkarten und -Postulate stammen von Frauen. Das hat mich ziemlich stutzig gemacht. Dem musste ich nachgehen. Ich entschied mich für einen Check an der Heftli-Auslage im Kiosk. Und siehe da: Bei drei Frauenmagazinen war der Mut schon auf der Frontseite ein Thema. In der Männerheftli-Abteilung hingegen war wie immer nur die Rede von teuren Uhren, noch teureren Autos und irgendwelchen Spirituosen. Was will uns das bedeuten? Dass Frauen die Welt verändern, während sich die Männer immer noch für Benzinmotoren begeistern? Oder dass Männer immer noch die Welt erobern, während die Frauen zögern? Knifflige Fragen.
Ich entschied mich dann für einen Kompromiss und kaufte einerseits ein Musikheftli, weil dort solche Fragen überhaupt keine Rolle spielen. Anderseits kaufte ich mir ein Sportheftli, ich weiss nicht mal, wie das hiess. Aber auf dem Titelbild sind ein Mann und eine Frau beim Joggen zu sehen, und beide tragen ein T-Shirt von diesem Turnschuhhersteller mit dem berühmten Haken, auf dem stand: Just do it. Der Haken ist übrigens das Symbol der griechischen Siegesgöttin Nike.